„Digitalisierung“ oder „digitale Transformation“ sind Schlagworte, die zurzeit fast täglich in den Medien fallen. Während sich Wirtschaftskreise bereits intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und die öffentliche Debatte prägen, sind viele Fragen, die sich für Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit der Digitalisierung stellen, noch offen: Welche Kompetenzen braucht es in der Arbeitswelt der Zukunft? Welche Berufe wird es noch geben? Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die freie Zeit von Kindern und Jugendlichen, auf das Familienleben und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) will den Einfluss der Digitalisierung auf Kinder und Jugendliche genauer beleuchten und hat Anfang 2017 Dr. Sarah Genner von der ZHAW ein Mandat für eine Literaturrecherche zum Thema „Digitale Transformation: Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche in der Schweiz“ vergeben. Dabei war das Ziel, die aktuell breit diskutierten Auswirkungen der Umwälzungen der Arbeitswelt aus Sicht der Schweizer Kinder und Jugendlichen zu betrachten. Als Fokus wurden folgende Schwerpunkte definiert: Bildung, Ausbildung, Arbeit und freie Zeit. Der nun veröffentlichte Bericht zeigt zahlreiche Aspekte der digitalen Transformation der Arbeitswelt auf, die im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen relevant sind und leitet auf Wunsch der EKKJ Empfehlungen ab. Nachfolgend die einführende Zusammenfassung des Berichtes:

 

Digitale Transformation – was ist das?

Der Begriff „digitale Transformation“ beschreibt den tiefgreifenden Strukturwandel der Arbeitswelt durch digitale Technologien wie mobile, vernetzte Geräte, Cloud Computing, Social Media, Internet der Dinge, Big Data, Künstliche Intelligenz und Robotik. Dadurch entstehen neue Geschäftsmodelle, Arbeitsprozesse und Berufsbilder. Aber auch die Kompetenzen, die von Mitarbeitenden und Lernenden gefordert werden, wandeln sich.

 

Digitale Transformation der Arbeitswelt und Konsequenzen für die Bildung

Mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt geht eine zusätzliche räumliche und zeitliche Mobilität sowie Flexibilität einher, die durch digitale Hypervernetzung ermöglicht wird. Andererseits sind insbesondere Automatisierungsprozesse von Arbeitsschritten eine Folge. Die Prognosen, wie viele Arbeitsplätze und welche Berufsfelder durch Digitalisierung verschwinden werden, gehen weit auseinander. So wurde beispielsweise berechnet, dass rund die Hälfte der aktuellen Arbeitsplätze einem hohen Automatisierungsrisiko ausgesetzt seien. Die OECD geht jedoch nach eigenen Einschätzungen davon aus, dass nicht mehr als zehn Prozent der Jobs einem hohen Digitalisierungsrisiko ausgesetzt seien. Geringqualifizierte und Geringverdienende gelten als eher betroffen, da nicht automatisierbare Jobs höhere kognitive Fähigkeiten erfordern. Wirtschaftshistorisch betrachtet haben bisherige Automatisierungswellen jeweils zu einer höheren Nachfrage nach Arbeitskräften geführt und neue Berufsfelderund Stellen geschaffen. Die volkswirtschaftliche Gesamtbeschäftigung gilt daher nicht als zwangsläufig gefährdet, wenn Bildung und Weiterbildung sowie Umschulung gezielt gefördert werden. Der Arbeitsmarkt wandelt sich seit Beginn der Industrialisierung und der damit einhergehenden Urbanisierung kontinuierlich. Vor 200 Jahren waren zehn Prozent im Dienstleistungssektor tätig, heute sind es drei Viertel. In der modernen Berufsberatung geht es nicht nur darum, für Jugendliche das zu ihnen passende Berufsfeld zu finden, sondern es wird Jugendlichen auch nahegelegt, ihre berufliche Identität aktiv mitzugestalten und sich auch während des gesamten Berufslebens weiterzubilden, da sich Stellenprofile und Berufsfelder rascher wandeln. Es besteht ein politischer Konsens darüber, dass Kinder und Jugendliche in der Schweiz optimal auf die fortschreitende Digitalisierung vorbereitet werden sollen. In den neuen Lehrplänen für die Volksschule sind Medien und Informatik als Querschnittskompetenzen definiert worden. An den pädagogischen Hochschulen wird Medien- und Informatikbildung für angehende Lehrpersonen aktuell gestärkt und der Bundesrat hat 2017 mit dem „Aktionsplan Digitalisierung“ ein weiteres Bekenntnis zur Stärkung digitaler Kompetenzen in Bildung und Forschung abgelegt und zusätzliche Mittel in Aussicht gestellt, damit die Schweiz ein führendes Land in der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien bleibe. Die Verankerung von digitaler Bildung in der Volksschule gewährleistet auch eine möglichst hohe Chancengleichheit, obwohl weiterhin digitale Gräben hinsichtlich sozioökonomischem Status und Geschlecht bestehen. Diese bestehen in der Schweiz nicht aufgrund eines fehlenden Zugangs zur Technik, sondern auf Basis von Bildungshintergründen (z.B kompetentes Einschätzen von Informationsqualität online) oder Sozialisierung (z.B. geschlechtsspezifische Interessen an digitalen Inhalten und Technologien). Das duale Bildungssystem gilt als Erfolgsfaktor der Schweizer Volkswirtschaft und erweist sich in der Ausbildung von Lernenden durch die Verzahnung von Berufsbildung und Betrieben auch im Zeitalter rascher digitaler Veränderung als besonders entwicklungsfähig/reaktionsfähig.

 

CC by Ed Yourdon, Flickr

Digitale Transformation im Alltag und Konsequenzen für die Beziehungsgestaltung

Der Alltag in vielen Familien ist durch die Nutzung digitaler Geräte bereits stark geprägt: In der freien Zeit werden vernetzte Geräte von Kindern und Eltern zuhause und unterwegs täglich eingesetzt: für Kommunikation und Unterhaltung, aber auch für Hausaufgaben, für den WhatsApp-Klassenchat oder die Arbeitsemails der Eltern. Die berufliche digitale Erreichbarkeit der Eltern ist eine Folge der digitalen Transformation, die verwischte Grenzen zwischen Arbeits- und Familienzeit mit sich bringt. Ein grosser Vorteil davon für Kinder und Jugendliche ist, dass Eltern und Bezugspersonen mobil-flexibel arbeiten können, womit sich Beruf und Familie oft besser vereinbaren lassen. Zudem können Kinder ihre Eltern auch bei der Arbeit unkomplizierter erreichen und durch Videotelefonie intensivere Beziehungen zu örtlich entfernten Familienmitgliedern pflegen. Gleichzeitig fühlt sich fast die Hälfte der Schweizer Erwerbstätigen gestresst oder erschöpft. Der Leistungsdruck betrifft auch Jugendliche: Knapp die Hälfte der Schweizer Jugendlichen fühlt sich gestresst. Mädchen sowie Migrantinnen und Migranten sind überdurchschnittlich gestresst. Eine Mehrheit der Jugendlichen in der Schweiz gibt zudem an, zu wenig Zeit für Hobbys, Vereine und soziales Engagement zu haben. Digitale Technologien spielen bei Erklärungen, warum der Druck und der Stress von Jugendlichen zugenommen hat und depressive Symptome über die Alterskohorten hinweg zunehmen, zwar eine Rolle, sind aber nur eine Erklärung neben anderen gesellschaftlichen Entwicklungen. Ständige digitale Erreichbarkeit und soziale Medien verstärken bei vielen Jugendlichen den Druck, rasch antworten, erfolgreich sein und gut aussehen zu müssen. Neben digitalen Medien werden weitere Faktoren genannt: weniger Möglichkeiten zum freien Spiel, die individualisierte Leistungs- und Konsumgesellschaft, die zwar zu mehr Möglichkeiten, aber auch zu höheren Erwartungen führt, ein Säkularisierungstrend, der spirituelle zugunsten materieller Werte wie finanziellem Erfolg und attraktivem Äusseren ablöst, der Wandel von Beziehungsmodellen und der Rolle der Frau. Kulturspezifisch für die Schweiz wird zudem Perfektionismus genannt. Die soziale Beschleunigung durch Digitalisierung ist beispielswiese daran messbar, dass die Erwartungen, wie schnell auf eine private digitale Nachricht reagiert werden sollte, über wenige Jahre deutlich zugenommen haben. Auch der Anteil Personen, die sich durch die Internetnutzung eines Haushaltsmitgliedes ignoriert fühlen, steigt seit Jahren messbar an. Ortsunabhängige digitale Erreichbarkeit von Jugendlichen verkompliziert in manchen Fällen die Eltern-Kind-Beziehung: Teenager streben Unabhängigkeit vom Elternhaus an, aber Bezugspersonen sorgen sich, wenn sie Jugendlichen digitale Nachrichten senden und keine Antwort erhalten. Hitzige gesellschaftliche Debatten drehen sich auch darum, wie viel Medienzeit und welche Medieninhalte ab welchem Alter sinnvoll, unschädlich bzw. kompetenz-fördernd sind. Während hier kein fachlicher Konsens besteht, sind sich Fachpersonen einig, dass digitale Tools zur elterlichen Überwachung von Kindern die Vertrauensbeziehung eher untergraben als fördern und zudem in die Privatsphäre von Kindern vordringen.

 

Kompetenzen für die Arbeitswelt 4.0 – „Soft Skills“ sind gefragt

Was unter „digitalen Kompetenzen“ verstanden wird, ist Definitionssache. Im Allgemeinen geht es dabei um technische Anwendungsfähigkeiten im Bereich digitaler Technologien und teilweise Programmierkenntnisse. Zusätzlich ist damit oft ebenso gemeint, man müsse über Fähigkeiten digitaler Kommunikation und Kollaboration verfügen. Je nachdem wird auch Wissen über seriöse digitale Quellen, digitale Geschäftsmodelle, Datensicherheit, Schutz der Privatsphäre oder die Funktionsweise von Algorithmen darunter verstanden. Neue Modelle schliessen auch kritisches Denken, soziale Fähigkeiten wie Empathie mit ein oder die Kompetenz, die eigene Bildschirmzeit oder digitale Erreichbarkeit sinnvoll zu steuern. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade im digitalen Zeitalter nicht nur technische Kompetenzen gefragt sind, sondern transversale Kompetenzen (auch: überfachliche Kompetenzen, Soft Skills). Dazu gehören beispielsweise Problemlösungsfähigkeiten, komplexe Informationen verarbeiten, abstraktes Denken, Zeitmanagement, interpersonale und interkulturelle Kompetenzen, Resilienz, Ausdauer, Anpassungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Kreativität, kritisches und unternehmerisches Denken. Insbesondere Kreativität und Problemlösungsfähigkeit gelten als menschliche Kompetenzen, die Maschinen überlegen sind. Anders gesagt machen digitale Kompetenzen lediglich einen Teil der „21st century skills“ aus. Es zeigt sich, dass transversale Kompetenzen von Eltern und Bezugspersonen, in einer Berufslehre oder bei ausserschulischen Aktivitäten (z.B. in der Kinder- und Jugendarbeit) besser vermittelt werden können als in einem klassisch schulischen Bildungssetting. Für die Förderung von Kreativität und psychischer Gesundheit von Heranwachsenden sind das freie Spiel sowie Lernumgebungen ohne Leistungsdruck aus entwicklungspsychologischer Sicht zentral.

Quelle: https://www.ekkj.admin.ch/themen/digitalisierung/

Downloadlink Bericht „Digitale Transformation: Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche in der Schweiz“ (PDF)

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