„Nur noch eine halbe Stunde!“, ruft der jugendliche Sohn aus seinem Zimmer den Eltern zu. Sie können es kaum fassen! Schon wieder müssen sie ihren Sohn an die gemeinsam erarbeitete Vereinbarung erinnern, schon wieder müssen sie ihm vom Computer (bzw. der Spielkonsole) wegreissen und schon wieder müssen sie mit Konsequenzen drohen. Aus der Sicht der Eltern ist ihr Sohn computerspielsüchtig: „Anders ist sein Verhalten nicht zu erklären.“ Er kümmert sich kaum noch um die wichtigen Dinge im Leben wie Schule, Freundschaft oder Familienleben… Stattdessen dreht sich alles um dieses Computerspiel, das er stundenlang spielen könnte. Sie verstehen das nicht. Und sie machen sich Sorgen! Die im Beispiel beschriebene Situation schildert die Erfahrung einiger Eltern, die bei uns in der Jugendberatung Unterstützung suchen. Im Beispiel ist es ein Sohn. Aber auch die Mediennutzung der Tochter kann Eltern immer wieder Sorge bereiten oder zumindest Grund für energieaufwendige Auseinandersetzungen sein.

"Racing games addicted" by Nick Grosoli, licensed under CC BY-ND 4.0

„Racing games addicted“ by Nick Grosoli is licensed under CC BY-ND 4.0

In meiner Tätigkeit als Jugendberater darf ich mich theoretisch und praktisch vertieft mit der als problematisch wahrgenommenen Mediennutzung Jugendlicher auseinander setzen. Diesen Beitrag nutze ich, um einen Einblick in meine Arbeit zu geben und einige meiner Erkenntnisse zu teilen.

 

Ist die Mediennutzung meiner Tochter / meines Sohnes normal?

Wenn die Mediennutzung der/des eigenen Jugendlichen auffällt, steht häufig die Frage im Raum, ob diese noch „normal“ ist oder nicht? Ist die eigene Sorge (der Eltern) berechtigt? Zunächst möchte ich festhalten, dass es aufgrund meiner Erfahrung keine „normale“ Mediennutzung gibt. Die Definitionshoheit von „Normal“ liegt bei den Eltern und Jugendlichen selbst. Kinder orientieren sich zunächst in ihrer Mediennutzung an ihren Eltern und dann später im Laufe der Pubertät immer stärker an der Mediennutzung von Gleichaltrigen (bzw. einem anderen sozialen Umfeld). Die Mediennutzung der Jugendlichen kann dadurch in der Pubertät stark von jener der Eltern abweichen. Hinzu kommt, dass Medien in der Sozialisation von Jugendlichen eine immer wichtigere Rolle einnehmen und sehr unterschiedlich genutzt werden können. „Normal“ ist, dass es in Familien immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich unterschiedlicher „Norm“-Vorstellungen von Mediennutzung kommt. Für mich sind die Eltern die Experten für ihre Jugendlichen. Wenn Eltern sich um ihr Kind sorgen, sollten sie ihre eigene Befindlichkeit ernst nehmen und das Gespräch suchen. Auch Jugendliche, die sich mit Computern und Smartphones gut auskennen, brauchen Unterstützung, um Risiken oder Herausforderungen der eigenen Mediennutzung reflektieren zu können.

 

Können Jugendliche von Medien abhängig werden?

Betrachten wir nochmal das Beispiel. Medien können von Jugendlichen z.B. genutzt werden, um emotionale Zustände zu regulieren. Stell Dir vor, der Jugendliche ist mit einer Situation (in der Schule, im Umgang mit Freunden etc.) überfordert und versucht sich mit dem „Gamen“ davon abzulenken. Wird die Herausforderung nicht angegangen oder fehlt es an Unterstützung dafür, kann dieses „Ablenken“ zu einer Abhängigkeit führen. Dann können mehrere beobachtbare Verhaltens-Alarmzeichen zusammen auftreten, wie z.B. plötzlicher Abfall von Schulleistungen, sozialer Rückzug, Aufgabe von Hobbys oder Freundschaften und stetiger Anstieg der Game- bzw. Spieldauer etc. Werden mehrere dieser Verhaltensweisen bei jemandem über längere Zeit beobachtet, kann eine Fachperson eine Verhaltenssucht diagnostizieren. In diesem Beispiel wird deutlich, wie verschiedene Faktoren eine Abhängigkeit beeinflussen können. Personelle, soziale und medienspezifische Faktoren spielen dabei gleichermassen eine Rolle.

 

Wie kann Jugendberatung eine Lösungsfindung unterstützen?

Eltern und Jugendliche erleben Zeiten, in denen es ihnen schwer fällt, miteinander ein sachliches Gespräch zu führen. Dann ist es Eltern vielleicht nicht möglich, die Bedürfnisse und Wünsche der Jugendlichen zu erkennen, welche die Medienangebote offenbar befriedigen. Jugendliche fragen dann nicht nach Unterstützung für eine schwierige Situation oder sie finden keine Alternativen fürs „Gamen“. Unter diesen Umständen ist es nicht leicht ein respektvolles familiäres Umfeld zu gestalten, wo sich die Familienmitglieder wertgeschätzt fühlen. Der gemeinsame Gang zur Jugendberatung, zu einer neutralen Fachperson, in einen neutralen Raum, kann eine Möglichkeit sein, neue Wege zu entdecken. Mich interessiert in einem Beratungsgespräch, wie sich die Ratsuchenden gemeinsam einen Lösungszustand vorstellen und was alle Beteiligten dazu beitragen können, um diesen zu erreichen. Es braucht Mut, sich mit seinen privaten Schwierigkeiten an eine fremde Person zu wenden. Aber die Bereitschaft, eine schwierige Situation verbessern zu wollen, ist ein starkes Signal und kann wahre Wunder bewirken.

 

Was kann ich als Jugendarbeitende/r tun?

Jugendarbeitende sehe ich als „soziale“ Ressource für Jugendliche, die sich mit einer schwierigen Situation konfrontiert sehen und mit einer allfällig vermeidenden Lösungsstrategie Gefahr laufen, ein abhängiges Verhalten zu zeigen. Jugendarbeitende können u.a. über Game- und andere Medienangebote in Kontakt mit Jugendlichen treten, sich an deren Interessen orientieren, spezifische Projekte und Angebote lancieren und damit Ressourcen der Jugendlichen stärken. Sie können damit reflexive und kritisch kommunikative Kompetenzen der Adressaten fördern und Reflektionsmöglichkeiten für die Mediennutzungsweisen bieten. Sie können Medienkompetenz nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch auf Seiten von Angeboten und Organisationen fördern. Sie können aber auch an Beratungsstellen verweisen, wenn Eltern oder Jugendliche weiterführende Unterstützung suchen.

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