«Mit Jugendlichen zum Kompetenz-Zentrum für die Nutzung neuer Medien» – so der Titel des dreijährigen BSV-Modellprojekts von 2014 bis 2016 der Jugendinfo Winterthur.

Wie kann die Jugendförderung am Puls der digitalen Lebenswelt der Jugendlichen zukunftfähige Jugendinformation betreiben? Gemeinsam mit Jugendlichen hat die Jugendinfo Winterthur Antworten auf diese Frage entwickelt, erprobt und evaluiert. Der folgende Artikel gibt eine kurze Übersicht über die Resultate und Erfahrungen.

Do Tank 2014

Anfang 2014 war das Angebot der Jugendinfo Winterthur ein weisses Blatt. Im Rahmen des einwöchigen «Do Tanks» haben 12 Jugendliche im Alter von 15–18 Jahren Ideen und Lösungen für die Jugendinfo der Zukunft entwickelt. Die Jugendlichen wurden als ExpertInnen ihrer eigenen Zielgruppe für ihr Engagement entlöhnt. Angeleitet durch einen an Design Thinking angelehnten kreativen Prozess sind Szenarien, Visionen und Prototypen entstanden: Die Jugendinfo App, ein Kreativ-Wettbewerb sowie die Gestaltung des Jugendinfo-Lokals beim Bahnhof Winterthur.

Fazit war, dass eine moderne Jugendinfo in der digitalen Lebenswelt der Jugendlichen präsent sein muss ohne dabei stigmatisierend zu wirken. Dazu muss die Jugendinfo aktiv von Jugendlichen mitgetragen sein und niederschwellige Unterstütztung bei Krisensituationen muss in einem gesunden Verhältnis mit potentialorienterten und kreativen Angeboten stehen.

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Brainstorming im DoTank 2014

Jugendredaktion

Gleich im Anschluss an den «Do Tank» haben die Teilnehmenden im Rahmen eines freiwilligen Engagements die Jugendredaktion gegründet. Seither trifft sich die Gruppe einmal im Monat in der Jugendinfo zu einer Redaktionssitzung. Dort bilden sie jeweils ein Dreierteam für einen Beitrag ihrer Wahl (Moderation, Kamera, Schnitt). Diese Gruppen erstellen dann bis zur nächsten Redaktionssitzung einen journalistischen Filmbeitrag. Am beliebtesten sind Strasseninterviews mit anderen Jugendlichen und Konzertbesuche.

Der Jugendinfo dient die Gruppe als Seismograph für die Mediennutzung von Jugendlichen. Trends etablieren sich dank der Jugendredaktion fast von alleine. Um eine repräsentative Durchmischung zu schaffen und um neue Jugendliche für die Jugendinfo zu gewinnen, führt das Team der Jugendinfo immer wieder Werbeaktionen durch. Es hat sich gezeigt, dass ein aufwändiges Engagement wie eine Jugendredaktion gefördert werden muss und leider kein vollständiger Selbstläufer ist.

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Jugendredaktion Planungssitzung

App-Beta-Test 2014–2015

Die Jugendredaktion publiziert ihre Beiträge in der Jugendinfo App und auf Social Media Kanälen. Basierend auf dem Prototyp aus dem «Do Tank» lancierte die Jugendinfo die erste Beta-Version der App im Herbst 2014. Die App enthielt – gemäss den Ergebnissen des «Do Tanks» – sowohl unterhaltsame, kreative Elemente, als auch nützliche Support-Angebote:

Datenbank mit Jugendangeboten, Suppport-Kontakte, News-Bereich, Veranstaltungskalender und Foto-Wettbewerb.

Die Jugendinfo hat die App ungefähr ein Jahr lang getestet und laufend evaluiert:

Aufgrund der Nutzungsstatistik hat sich gezeigt, dass die Angebotsdatenbank von weniger als 10% der App-User benutzt wird. Wettbewerbe, News und Kontakte sind am beliebtesten.

Bei den Kreativ-Wettbewerben gab es jedoch trotz Werbung und Preisen nur sehr wenig Einsendungen – selten mehr als 10 oder 20. In Zukunft werden die Wettbewerbe nur im Kontext anderer Projekte lanciert.

Die Jugendredaktion wollte Anfangs einen eingenständigen Veranstaltungskalender betreiben. Allerding hatten die Jugendlichen mittelfristig keine  Zeit und Lust sich regelmässig darum zu kümmern. Daher hat die Jugendinfo den Jugend-Veranstaltungskalender schweren Herzens wieder eingestellt.

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Jugendinfo App Beta-Version

Do Tank 2015

In einem zweiten, zweitägigen Do Tank in den Frühlingsferien 2015 hat die Jugendinfo mit einer neuen Gruppe von Jugendlichen die Angebote der Jugendinfo evaluiert.

Für die App haben die Jugendlichen eine Ferien- und Sackgeldjobbörse sowie vermehrte Förderung beruflicher Integration empfohlen. Redaktionell wünschten sie sich mehr Inhalte zu Style, Fashion und Autos. Für die Vermarktung haben die Jugendlichen vor allem Peer to Peer Werbung via Jugendredaktion empfohlen.

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Präsentation beim DoTank 2015

1.0-Version der Jugendinfo App

Basierend auf den Erfahrungen und Ergebnissen des zweiten Do Tanks hat die Jugendinfo Winterthur im Herbst 2015 die erste finale Version der App in Winterthur lanciert. Entsprechend der Evaluationsergebnisse enthält die App seither eine Sackgeldjobbörse. Die Jugendredaktion ist noch prominenter präsent und seit Frühling 2016 können die Jugendlichen über einen anonymen Chat niederschwellig Unterstütztung bekommen. Rein informative Informationen sind weniger vertreten.

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Jugendinfo App 1.0 Version

Bedarfsanalyse Basel 2016

Ist die Jugendinfo App auch für andere Standorte als Winterthur nützlich? Eine Bedarfsanalyse in Basel im Frühling 2016 versucht darauf exemplarisch Antworten zu finden.

Dreizehn ExpertInnen wurden befragt und Jugendliche aus der Jugendredaktion Winterthur führten Interviews mit Jugendlichen aus Basel.

Sowohl die Jugendlichen als auch die ExpertInnen sind sich einig, dass eine App für die Jugendarbeit ein zeitgemässer Kommunikationskanal ist – komplementär zu persönlichem «Face to Face» Kontakt. Die ExpertInnen sehen in der App eine Chance, die fragmentierten Kommunikationskanäle der Jugendarbeit und Jugendkultur in einem publikumsnahen Medium zu bündeln.

Für die Jugendlichen stehen das kreative Mitwirken, die Unterhaltung sowie der konkrete Eigennutzen im Zentrum. Die Jobbörse ist mit Abstand die beliebteste Funktion. Im Gegensatz zu den ExpertInnen stiessen die rein informativen Funktionen in der App bei den Jugendlichen auf wenig Resonanz. Auch die JugendforscherInnen aus Winterthur gaben diesen bei den Präsentationen viel weniger Gewicht. Damit die Informationen auch für Jugendliche interessant sind, müssen sie an einen konkreten Nutzen gebunden sein und den persönlichen Kontakt fördern.

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Bedürfnisse von ExpertInnen und Jugendlichen aus der Bedarfsanalyse Basel

Quantitative Befragung Winterthur 2016

Die Jugendinfo Winterthur hat mit den Jugendlichen gemeinsam einen Fragebogen über die Jugendinfo App entwickelt. Im Juli 2016 haben die Jugendlichen in den Strassen der Altstadt Winterthur 104 Jugendliche anhand des Fragebogens befragt (Durchschnittsalter: 15, Mädchen: 58%, Jungen: 41%, Sekundarschule: 68%, Lehre: 11%, Anderes: 21%).

Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit den qualitativen Ergebnissen aus den Do Tanks und der Bedarfsanalyse in Basel. Spielerische Elemente wie das Game (26%) und News (14%), sowie Möglichkeiten zu persönlichem Kontakt (22%) ziehen am meisten Aufmerksamkeit auf sich. Reine Informationsangebote sind weniger beliebt (Rechte: 8%, Angebote: 8%). Insbesondere Support zu defizitorientierten Themen stiessen in der Befragung auf sehr wenig Resonanz (Sucht: 11%) während Freizeit und Berufsfindung bevorzugt werden (Sport: 74%, Ausgang: 55%). Eine Ausnahme ist das Thema Ernährung, welches 57% der Befragten interessiert.

Die Jobbörse wird nur von wenigen als erstes angewählt (9%), aber 83% der befragten Jugendlichen sind interessiert, einen Job zu machen. Am beliebtesten sind Babysitting (45%) und IT-Support (28%). Als Wettbewerbspreise sind Kleidergutscheine (42%) und Konzerteintritte (32%) bei weitem am beliebtesten.

Im Bezug auf das Filmen in der Jugendredaktion interessieren vor allem lustige Videos (44%), Sport (39%), Musikvideos (38%) und Mode/Styling (27%). Politik (6%) und Umweltthemen (6%) sind nicht beliebt. Filmen (24%), Schnitt (19%) und Moderieren (24%) wollen nur relativ wenige. Für Fotografie (51%) interessieren sich aber sehr viele. VR-Reality 360°-Videos möchte fast niemand erstellen (5%).

Fazit

Zusammenfassend zieht das Team der Jugendinfo Winterthur aus dem dreijährigen Modellprojekt folgende Schlüsse für eine zeitgemässe Jugendinformation:

Information ist tot: Jugendliche sind sich gewohnt, dass Information im Überfluss vorhanden ist. Sie suchen in ihrer digitalen Lebenswelt reale Kontakte und Möglichkeiten sowie Unterhaltung. Erwachsene möchten zwar gerne differenzierte, hochstehende Informationen vermitteln, aber Jugendliche stehen dem weitgehend gleichgültig gegenüber – selbst wenn diese Infos vielleicht sogar nützlich wären.

Peer to Peer ist top: Nur mit möglichst aktiver Beteiligung von Jugendlichen kann eine Jugendinfo den medialen Entwicklungen rasch genug folgen und für Jugendliche wirklich niederschwellig sein.

Die digitale Lebenswelt steht im Zentrum: Kontakte, persönlicher Support, kreativer Ausdruck in der Peer-Group – ein persönliches Umfeld getragen von einer allgegenwärtigen digitalen Vernetzung sind die Realität der heranwachsenden Generationen. Eine Jugendinfo kann nicht gegen den Strom schwimmen. Sie muss sich mit Angeboten nützlich machen, die im Leben der Jugendlichen augenscheinlich nützlich sind. Dies schafft Präsenz. Durch sachte Irritationen des digitalen Systems kann die Jugendinfo ausgehend davon Medienkompetenz fördern, Krisen niederschwellig abfedern und das Potential fördern.

Weitere Infos

Mehr zur App und Download: jugendinfo.win/app/

Mehr zur Jugendredaktion: jugendinfo.win/jugendredaktion/

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