Die Berner Fachhochschule hat am 16.11.2011 die Ergebnisse zu ihrer Studie „Sozialisationsbedingungen und soziale Integration Jugendlicher“ veröffentlicht.
Auszüge aus der Medienmitteilung:
Jugendliche wachsen in sehr unterschiedlichen Lebensverhältnissen und Alltagswelten auf, mit denen je typische soziale Ressourcen und Belastungen verbunden sind. Die von der Berner Fachhochschule in Zusammenarbeit mit drei Berner Gemeinden durchgeführte Studie beleuchtet die Sozialisationsbedingungen Jugendlicher und zeigt, dass durch Ausrichtung der Jugendarbeit auf verschiedene Zielgruppen die Integrationschancen verbessert werden können.
Insgesamt vermitteln die erhobenen Daten ein positives Bild der Eltern-Kind-Beziehung: Die Jugendlichen fühlen sich emotional geborgen und in privaten und schulischen Belangen von ihren Eltern unterstützt. Allerdings wächst ein ziemlich grosser Teil der befragten Jugendlichen unter eher schwierigen Bedingungen heran.
Mangelnde Kontrolle durch die Eltern
Die soziale Kontrolle durch die Eltern hat einen massgeblichen Einfluss auf das Verhalten der Kinder. Die Studie zeigt, dass, wo elterliche Kontrolle fehlt, das Risiko für zahlreiche sozial unerwünschte Verhaltensformen der Jugendlichen steigt.
Gewaltmedien und aggressives Verhalten
Auch der Medienkonsum entzieht sich zu einem grossen Teil der elterlichen Kontrolle und steht ebenfalls mit Problemverhalten in Zusammenhang. Die Studie zeigt, dass bei Jugendlichen ein stark ausgeprägter Konsum von Internet, Computer- und Videospielen oder Fernsehen mit einer Reihe von Risikotendenzen wie z.B. Suchtmittelkonsum und Delinquenz korreliert. Entscheidend ist dabei die Art der konsumierten Inhalte. Jugendliche, die Computer- oder Videospiele mit gewalttätigen Inhalten konsumieren («Ego-Shooter») weisen im Vergleich zu denjenigen, die dies nicht tun, ein drei Mal höheres Risiko auf, selbst Waffen zu tragen (Messer, Schlagring, Schlagstock, Schusswaffe), und gar ein sechs Mal höheres Risiko, bereits einmal ein Gewaltdelikt nach Strafgesetzbuch begangen zu haben. Die vorliegenden Daten erlauben zwar keine Aussagen zu ursächlichen Zusammenhängen, deuten aber doch darauf hin, dass der Konsum von Gewaltmedien ein wichtiger Verstärkungsfaktor darstellt.
via BFH: Soziale Arbeit
Nach der Lektüre relevanter Teile dieser Studie tauchen für mich einige Fragen auf:
- Warum erlauben die Daten keine Aussagen zu ursächlichen Zusammenhängen zwischen Gewaltmedien und aggressivem Verhalten, deuten aber gleichzeitig doch darauf hin?
- Wem bringt diese Aussage etwas?
- Warum werden diese Korrelationen von der Studie in der Pressemitteilung so sehr herausgestrichen obwohl sie im Schlussbericht nur einen ganz kleinen Teil einnehmen?
- Wie haben die Fragebogen ausgesehen, die an die Schülerinnen und Schüler verteilt worden sind?
- Wissen die Verfasser der Studie wirklich Bescheid über die Unterschiede zwischen MMORPGs und Ego-Shootern?
- Wissen sie auch, dass die meisten Ego-Shooter heute mit sehr umfangreichen online Multiplayer-Funktionen ausgestattet sind, welche sogar oft als Hauptkaufargument herausgestrichen werden?
Alle diese Fragen werden mir leider vom Schlussbericht der Studie nicht zu meiner Zufriedenheit beantwortet. Schade, so bleibt für mich der schale Nachgeschmack von Medienhype, der rund um die Studie aufgebaut werden soll. Ob das so beabsichtigt war, weiss ich nicht. Das aber solche Aussagen ein gefundenes Fressen für die Massenmedien darstellt, die gerne wiedermal eine grosse Headline schreiben wollen, ist meiner Meinung nach auch klar.
Zielgruppenorientierte Prävention
Ein zentraler Befund der Studie ist es, dass aufgrund der spezifischen Ressourcen und Problemlage jedes Jugendtypus entsprechend angepasste Massnahmen der Jugendhilfe angezeigt sind. Die vom Gesetzgeber im neuen Jugendförderungsgesetz, das per 1. Januar 2012 in Kraft tritt, vorgesehene Erweiterung der Angebote der Jugendorganisationen gerade um offene und flexible Formen, sollte daher nicht auf Kosten der hergebrachten Strukturen realisiert werden. Vielmehr braucht es in der Jugendarbeit eine der Komplexität der Jugendtypen korrespondierende, sprich zielgruppenorientierte Vielfalt präventiver Massnahmen, will man die Integrationschancen der heranwachsenden Generation nachhaltig verbessern.
via BFH: Soziale Arbeit
Mit diesem Fazit kann ich mich hingegen wieder voll und ganz einverstanden erklären. Es ist höchste Zeit, dass sich die Angebote in der Jugendhilfe (Anomation) mehr auf die heutigen Anforderungen und Bedürfnisse der Jugendlichen einlassen und sich selbst auch befähigen wenn es um solche komplexe Themen wie Neue Medien und Integration geht. Nach meiner Meinung ist es dabei sogar teilweise notwendig bestehende Angebote auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen und auch mal etwas über Bord zu werfen zugunsten von neuen, flexiblen und offenen Strukturen.
Die Indianer haben dazu ein passendes Sprichwort: „Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest, dann steig ab.“
Was haltet ihr Leserinnen und Leser von dieser Studie, dem Fazit und von den vorgestellten Korrelationen? Schreibt doch einen Kommentar, würde mich freuen.
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Das Bild dieses Beitrags steht unter CC Lizenz und wurde von Mustafa Sayed gemacht.