Junge suchen Hilfe wegen Pornosucht“ – der Artikel mit diesem Titel erschien am 31. März 2014 im 20 Minuten. Grund genug für mich, mich mit einer Jugendarbeiterin zu einem Austauschgespräch zu treffen.
Zora Buner arbeitet seit 13 Jahren in der Jugendarbeit (Stellenleitung und Jugendbeauftragte).Im Rahmen von diesem Auftrag ist sie auch immer wieder mit dem Schwerpunkt Sexualpädagogik unterwegs, aktuell bei der Gemeinde Fällanden. Privat ist sie Mami von zwei Kindern (die Tochter ist 5 jährig, der Sohn ist 7 jährig).
Erotik oder Pornografie?
Zum Gesprächseinstieg diskutieren wir erstmal über die beiden Begriffe „Pornographie“ und „Erotik“. Die Begriffe werden von der Fachstelle „Lust und Frust“ folgendermassen voneinander abgegrenzt:
Heute bezeichnet man Darstellungen von sexuellen Handlungen in Texten und Bildern oder Filmen, die andere beim Lesen oder Anschauen erregen können, als pornografisch. Dabei wird im Gegensatz zu erotischen Bildern, Texten oder Filmen Sex möglichst deutlich gezeigt.
Der Konsum von Pornographie ist im Gesetz (Art. 197 StGB) folgendermassen geregelt:
Die Norm schützt Jugendliche unter 16 Jahren vor dem Kontakt mit „weicher“ Pornographie und Personen beliebigen Alters vor ungewollter Konfrontation mit solcher. Dann wird der Umgang mit „harter Pornographie“ umfassend unter Strafe gestellt. Unter „harte Pornographie“ fallen Darstellungen von sexuellen Handlungen mit Kindern oder Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder von sexueller Gewalt. Strafbar macht sich insbesondere, wer solche herstellt, in die Schweiz einführt, in Verkehr bringt, zeigt oder anbietet. Bei Produkten mit sexuellen Handlungen mit Kindern, Tieren oder Gewalt sind auch Erwerb und Besitz sowie das Herunterladen vom Internet auf die Festplatte oder das Natel strafbar. Der blosse Konsum von Pornographie ist nicht strafbar.
(Quelle: Alles was Recht ist, 3. Auflage, 2010 Okaj Zürich)
Praxisbezug zum Gesetz
Fazit ist somit, Jugendliche dürfen von Gesetzes wegen eigentlich weiche Pornographie besitzen und auch anschauen, kritisch wird es bei der Weiterverbreitung. Pornographie ist somit in der Jugendarbeit ein Thema und zwar nicht erst heute im Smartphone Zeitalter. Zora und ich sind uns schnell einig, Jugendliche brauchen Gesprächspartner/innen mit denen sie über Pornographie sprechen können / dürfen. Das muss nicht heissen, dass in der Jugendarbeit Pornos geschaut werden. Im Gegenteil, es schützt vor der Tabuisierung, wenn das Gesehene in Worte gefasst werden muss. Wenn Zora mit Jugendlichen das Thema Pornographie im Sexualpädagogischen Unterricht anspricht, dann steigt sie oft mit folgender Frage ein: „Wer von euch hat schon einen Porno gesehen?“
Die Knaben strecken ihre Hände in die Höhe, die Mädchen zögern und strecken erst auf, wenn Zora mitteilt, dass sie sich auch schon einen Porno angeschaut hat.
Die Fachstelle „Lust und Frust“ hat im März 2012 eine Studie zum Pornographiekonsum von Jugendlichen veröffentlicht. Es wurden knapp 1000 Jugendliche (13 bis 16 Jahre) aus der Stadt und dem Kanton Zürich befragt. Dabei äusserten 91% der Knaben und 44% der Mädchen, dass sie schon mal mit Pornographie in Kontakt gekommen sind. Dies kann dazu führen, dass sich die Jugendlichen beim ersten Geschlechtsverkehr noch unsicherer fühlen. Allenfalls fühlen sie sich unter Druck das Gesehene / Gehörte auch erleben zu „wollen“.
Praxisbezug im Alltag
Somit sind wir bei einem weiteren Diskussionspunkt angelangt. Auch im Jahr 2014 ist es nicht selbstverständlich, dass Mädchen über ihre Sexualität sprechen, ihre Bedürfnisse benennen oder ihre Sexualität entdecken und selbstbewusst leben. Zora hat schon erlebt, dass Mädchen, welche im Unterricht von Selbstbefriedigung erzählten, anschliessend per ask.fm (ein Portal mittels dessen anderen anonym Fragen gestellt werden können) fertig gemacht wurden.
Unsere Diskussion schweift an diesem Punkt ab, wir landen bei den Rollenbildern. Die Frauen in den 60 er Jahren mussten für ihre Rechte kämpfen. Die heutigen Mädchen sind wieder eher mit klassischen Rollenbildern konfrontiert. In den Medien (insbesondere in Musikvideos) wird ihnen der Mann als Jäger und die Frau als „ich geb dem Mann was er braucht“ Objekt dargestellt. Die Jugendlichen äussern, dass sie sich bewusst seien: „Ein Porno stellt nicht die Realität dar“. Sie wissen, dass in Pornos Schauspielerinnen und Schauspieler wirken, denen zusätzliches künstliches Sperma beigefügt wird, die Filme geschnitten werden, …
Trotzdem: Pornos werden von vielen Jugendlichen u. a. zur Aufklärung geschaut – wenn es dann darum geht, das Gesehene in den Beziehungsalltag herunterzubrechen, sind sie jedoch verunsichert darüber, was von ihnen in einer Beziehung erwartet wird. Auch hier gelangen wir zum Fazit, es ist wichtig, dass darüber gesprochen werden kann, dass die Jugendlichen (egal ob Mädchen oder Knabe) ein Gesprächsgegenüber haben, welches mit ihnen über das Gesehene spricht. Eine Bezugsperson, welche Pornographie nicht verteufelt, sondern dessen Chancen sieht, aber auch die Risiken anspricht.
„Was mir gefällt, was meine Lust befriedigt, das kann ein Porno zeigen“ – ABER – „was ich will, wie ich es will – das muss ich erst lernen“. Anders gesagt, genauso wie sie als Kinder gelernt haben Velo zu fahren, genauso müssen sie als Jugendliche lernen ihre Sexualität zu leben.
In diesen Gesprächen mit Jugendlichen soll auch die rechtliche Lage angesprochen werden, dabei hilft das Buch „Alles was Recht ist“. In der Praxis stellt sich ja oft die Frage: „Ist dieses Filmchen, das gerade im WhatsApp Gruppenchat rumgeschickt wird, ein Porno?“.
Zora empfiehlt in solchen Situationen den offensiven Kontakt. Die Jugendlichen sollen aufgefordert werden das Gesehenen zu beschreiben. Sich den Film mit den Jugendlichen anzuschauen ist vom Gesetz her nicht erlaubt, dies ist in den meisten Fällen aber auch nicht notwendig.
Im Gespräch sollen anschliessend auch die Rollenbilder angesprochen werden. Dabei kann es sein, dass die Jugendlichen konkrete Fragen stellen, wie beispielsweise: „Hast du dir auch schon einen Porno angeschaut?“ oder „Magst du Oralsex?“. Wer sich im Vorfeld solche mögliche Fragen stellt kann in solchen Momenten auch entscheiden, wo er / sie eine persönliche (ehrliche) Antwort gibt und wo er / sie nur eine pädagogische Antwort gibt.
Zora und ich sind beide davon überzeugt, je mehr Kinder und Jugendliche über das Thema „Sexualität“ sprechen können (auch mit den Eltern!) desto besser sind sie vor einem Missbrauch geschützt. Durch die Gespräche mit den Erwachsenen wissen die Jugendlichen, welche Werte und Normen gelten. Sie wissen aber auch, an wen sie sich wenden können, wenn sie mit einem Film überfordert sind.
Hilfreiche Links zu diesem Thema: